KULTUR UND GESELLSCHAFT Organisationseinheit : 46 Reihe : LITERATUR 00.05 Kostenträger : P.6.2.30.0 Titel : ?Planetenerkunder? Die phantastischen Brüder Strugatzki Autor :Martin Hartwig Redaktion: : Sigried Wesener Sendetermin : 18.09.2011 Besetzung : Sprecher 1 : Sprecher 2 : Sprecher 3 : Sprecherin Regie : 0-Ton/Musik Urheberrechtlicher Hinweis: Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt und darf vom Empfänger ausschließlich zu rein privaten Zwecken genutzt werden. Jede Vervielfältigung, Verbreitung oder sonstige Nutzung, die über den in den §§ 45 bis 63 Urheberrechtsgesetz geregelten Umfang hinausgeht, ist unzulässig Martin Hartwig Tel.: 85035423 martin.hartwig.fm@dradio.de Planetenerkunder - die phantastischen Brüder Strugatzki von Martin Hartwig Besetzung: Sprecherin: Moderation Sprecher 1: Boris Strugatzki Sprecher 2: Heymbacken, Chodorkowsi Sprecher 3: Pfeffer Atmo: Schlucht - Dschungel AN DER SCHLUCHT: PFEFFER SITZT VOR SICH HINPFEIFEND AM RAND DER SCHLUCHT UND WIRFT KLEINE STEINCHEN HINEIN. SCHRITTE NÄHERN SICH. Sprecher 2 (Heymbacken) [scharf]: Wem gehören diese Schuhe? Sprecher 3 (Pfeffer): Das sind keine Schuhe, das sind Sandalen Sprecher 2 (Heymbacken): Ach so! [LACHT AUF] Aha, sehr gut. Und wem gehören diese ?. Sandalen? Der Mensch sitzt am Abgrund, neben ihm liegen Sandalen. Da stellt sich unweigerlich die Frage: wessen Sandalen sind das, und wo ist ihr Besitzer? Sprecher 3 (Pfeffer): Das sind meine Sandalen. Sprecher 2 (Heymbacken): Ihre? Sie sitzen barfuß hier? Warum? [notiert etwas in seinen Block] Sprecher 3 (Pfeffer): weil es nicht anders geht. Gestern ist der rechte Schuh hinuntergefallen, und da habe ich beschlossen in Zukunft nur noch barfuss hier zu sitzen. Dort liegt er, ich werde jetzt mit meinem Steinchen?. Sprecher 2 (Heymbacken): Moment! [Nimmt den Stein] Tatsächlich, ein gewöhnlicher Stein. Aber das ändert vorläufig nichts. Sie waren gestern also auch schon hier? Warum sind sie schon zum zweiten mal hier an der Schlucht, während die anderen Mitarbeiter der Verwaltung ganz zu schweigen von den nicht angestellten Fachleuten höchstens dann hierherkommen, wenn sie ihre Notdurft verrichten müssen? Atmo (kurz): Interferenz, Schnipsel Boris Strug, verfremdet wie Funkverkehr; verwehte Sequenz sowj. Hymne Atmo (kurz): Interferenz, Schnipsel Funkverkehr Sprecher 1 (BS): Unsere Freunde lieben uns, die Feinde hingegen hassen uns und haben Grund uns zu fürchten. Apropos Freunde. Unsere Freunde sind bedeutende Leute, es sind führende Wissenschaftler darunter Kosmonauten, Ärzte, Leute vom Film. Die Feinde aber sind einer wie der andere klein, unbegabt, austauschbar, doch dafür sitzen einige auf Posten in der Verwaltung. Sprecherin: Schrieben Boris und Arkadi Strugatzki 2001. Die Bürokratie war ihr Hauptgegner, sowohl in ihren Romanen, als auch in ihrem Leben. Sie war allgegenwärtig, fordernd und einflussreich. Manchmal hatte sie in ihrer Umständlichkeit etwas Lustiges und war in ihrem Eifer geradezu rührend, doch immer zeigt sie auch ihr bösartiges Gesicht 1. O-Ton: (BNS) russisch Sprecher 1: (voice over ) Die normale Laufbahn eines jeden Manuskripts sah zwei Verteidigungslinien der Obrigkeit gegen ideologische Diversion vor: Redaktion und Zensur, letztere in Gestalt der Hauptverwaltung für Literatur und Verlage. Dabei lag die Hauptlast des ideologischen Kampfes bei den Lektoren und Redakteuren: Die Hauptverwaltung befasste sich hauptsächlich mit der Wahrung von Staatsgeheimnissen und griff in den ideologischen Kampf selten ein, nur in den schwersten Fällen. Sprecherin: Ihre weltweite Auflage wird auf 40- 50 Millionen Exemplaren geschätzt, ihre mehr als 25 Romane und Erzählungen wurden in 30 Sprachen übersetzt und bis heute haben sie eine treue Leserschaft. Die Strugatzkis sind in jeder Hinsicht Erfolgschriftsteller, auch wenn sie, wie die Science-Fiction überhaupt, nicht immer im Radar des deutschen Feuilletons waren. In den 70er und 80er Jahren des letzten Jahrhunderts, galten sie, zusammen mit Stanislaw Lem, jedoch auch hierzulande als die Vertreter einer hochwertigen, kritischen und geistreichen Science Fiktion überhaupt. Ihr bekanntestes Werk ist ?Picknick am Wegesrand?, in dem vom Leben einiger Menschen rund um eine mysteriöse Zone berichtet wird, die in der fiktiven Stadt Harmont entstanden ist. In dieser Zone rufen die Hinterlassenschaften einer fremden Zivilisation merkwürdige und verstörende Phänomene hervor. Die zentralen Motive des Romans bilden die Grundlage des Films ?Stalker? von Andrej Tarkowski, zu dem die Brüder wiederum auch das Drehbuch schrieben. Sie selbst hielten ?Die Schnecke am Hang? für ihr gelungenstes Werk, jene Erzählung, in der der Wissenschaftler Pfeffer mit der Verwaltung des Waldes ringt. Atmo: Schlucht - Dschungel Sprecher 2 (Heymbacken): Ihnen gefällt es wohl hier zu sitzen. Sie lieben wahrscheinlich den Wald- Lieben sie ihn?? Sprecher 3 (Pfeffer): Und Sie? Sprecher 2 (Heymbacken): Vergessen Sie sich nicht. Sie wissen sehr gut, wo ich arbeite. Ich gehöre der ?Gruppe für Ausrottung? an. Sie wissen, dass mein Verhältnis zum Wald durch meine dienstlichen Pflichten bestimmt wird. Wie es sich aber mit ihrer Beziehung zum Wald verhält, weiß ich nicht. Und das ist nicht gut. Na, Pfeffer? Sie sind doch ein erwachsener Mann und sollten wissen, dass Zweideutigkeit nicht hinnehmbar ist?. Sprecher 2 (Heymbacken): Der Stein hier zum Beispiel. Solange er still daliegt, ist er in seinem natürlichen Zustand und erweckt keinen Zweifel. Aber dann wird er von einer Hand ergriffen und irgendwohin geworfen. Merken Sie den Unterschied. Sprecher 3 (Pfeffer): Nein - das heißt natürlich, ja? Sprecher 2 (Heymbacken): Sehen Sie? Mit einem Mal ist alle Natürlichkeit dahin, und sie kehrt nicht wieder zurück. Wessen Hand? ? fragen wir. Auf wen? Wozu? Ebenso stellt sich die Frage: Wie können Sie am Rand dieses Abgrundes sitzen? Können Sie es von Natur aus, oder haben Sie sich das antrainiert? Ich zum Beispiel könnte es nicht. Und mir wird angst und bange, wenn ich nur darüber nachdenke, zu welchem Zweck ich es mir antrainieren könnte. Mir wird schwindelig. Und das ist ganz natürlich. Der Mensch hat am Rand einer Schlucht nichts zu suchen. Besonders dann nicht, wenn er keinen Passierschein für den Wald hat. Zeigen Sie mir doch bitte Ihren Passierschein, Pfeffer! Sprecher 3 (Pfeffer): Ich habe keinen. Sprecher 2 (Heymbacken): Sie haben keinen. Und warum nicht? Sprecher 3 (Pfeffer): Das weiß ich nicht ? Man gibt mir keinen. Sprecher 2 (Heymbacken): Richtig, man gibt Ihnen keinen. Aber warum gibt man Ihnen keinen? Mir hat man einen gegeben, vielen anderen ebenfalls, aber Ihnen, warum auch immer, gibt man keinen. Sprecher 3 (Pfeffer): [zögernd] Wahrscheinlich deswegen, weil mir keiner zusteht. Wahrscheinlich deshalb. ATMOENDE Atmo (kurz): Interferenz, Echolot, russisch: ?Funkspruch? 2. O-Ton: (BNS) russisch Sprecher 1: (voice over ) Dass wir gemeinsam schreiben würden, verstand sich von selbst. Mitte der fünfziger Jahre war Arkadi schon ein erfahrener Schriftsteller: Wie es sich für den jüngeren Bruder gehört, trat ich in die Fußstapfen des älteren, auch bei ihm lag schon etwas in der Schublade, und auch seine Phantasie brodelte bei der Suche nach und Perfektionierung von ?ungewöhnlichen Umständen?, in die die Helden, ?gewöhnliche Menschen?, versetzt werden (alles in der besten Tradition von H. G. Wells: ?der gewöhnliche Mensch unter ungewöhnlichen Umständen?). Wir beide vergötterten die Phantastik, kannten sie gut, hatten schon durchaus Vorstellungen entwickelt, wie man schreiben muss, worüber und wozu, und warum ausgerechnet Phantastik. Sprecherin: Boris Strugatzki, den Überlebenden des sowjetisch-russischen Autoren- und Brüderpaares Boris und Arkadi Strugatzki zu einem Hörfunkinterview zu bewegen ist inzwischen unmöglich. Er will nicht. Der Schriftsteller ist inzwischen 78 Jahre alt, krank und verlässt seine Wohnung in St. Petersburg nur noch selten. Journalisten empfängt er dort nicht. Fragen beantworte er gerne, aber ausschließlich schriftlich, ? so schrieb er vor acht Jahren, vor 6 Jahren und auch vor 2 Jahren noch mal. Dann eine überraschende Nachricht von Franz Rottensteiner, dem langjährigen Science-Fiction Lektor bei Suhrkamp und früheren Agenten der russischen Brüder für das westliche Ausland, der von der Anfrage wusste. Ein enger Freund von Boris Strugatzki sei bereit, dem Autor die gewünschten Fragen zu stellen und aufzuzeichnen. Und so stand plötzlich die Datei ?Deutsche Radio? zum herunterladen auf einer russischen Internetseite. Boris Strugatzki liest seine Antworten vor. Hörbar müde aber in geschliffenen, offenbar vorformulierten, Sätzen erzählt er vom Leben und Schreiben in einem untergegangenen Weltreich und von den Verhältnissen im neuen Russland. Ein rohes und seltenes Dokument. 3. O-Ton: (BNS) russisch Sprecher 1: (voice over ) Unser Vater hatte eine recht ansehnliche Bibliothek zusammengebracht, an die dreihundert Bände. In allen Dienststellungen, die er innehatte, war die Bezahlung miserabel, dafür stand ihm ein sogenanntes ?Bücherdeputat? zu. Meine Vorliebe galt der Phantastik. Wells, Alexander Beljajew, Conan Doyle, Jules Verne, Louis Boussenard, Louis Jacolliot, London,? das alles gab es bei uns zu Hause, das alles habe ich in der Schulzeit verschlungen, angefangen, wie ich mich noch erinnere, mit dem ?Krieg der Welten?, den ich im schrecklichen Blockadewinter 1941?42 beim flackernden Schein einer selbstgebauten Ölfunzel las, die uns damals elektrisches Licht ersetzte. So dass nicht ich ?an die Phantastik gekommen? bin, sondern die Phantastik ist vielmehr vor beinahe siebzig Jahren zu mir gekommen, und seither sind wir zusammengeblieben. Atmo: Schlucht - Dschungel Sprecher 2 (Heymbacken): Pfeffer, ich bin nicht der Einzige, der sich für Sie interessiert! [jetzt vertraulich] Wenn nur ich es wäre ? Es gibt aber noch viel wichtigere Leute, die sich für Sie interessieren. Hören Sie, Pfeffer, vielleicht setzen Sie sich etwas von der Schlucht weg, damit wir uns besser unterhalten können? Mir wird ganz schwindlig, wenn ich Sie anschaue. Sprecher 3 (Pfeffer): Das liegt daran, dass Sie nervös sind. Aber lassen wir das. Es ist Zeit, in die Kantine zu gehen, sonst kommen wir noch zu spät. Sprecher 2 (Heymbacken): Gehen wir. Aber ich möchte festhalten, dass Sie bisher auf keine meiner Fragen geantwortet haben. So kann es nicht weitergehen. ? Man erhält keinerlei Eindrücke, geschweige denn Informationen. Nichts als Unklarheiten. Sprecher 3 (Pfeffer): Welche Fragen soll ich denn beantworten? Ich musste mit dem Direktor sprechen. Deshalb war ich hier. Sprecher 2 (Heymbacken): [schluckt, dann mit völlig veränderter Stimme] Ach ? So wird das bei euch gemacht. Sprecher 3 (Pfeffer): Was wird gemacht? Nichts wird gemacht. Sprecher 2 (Heymbacken): [fast flüsternd] Nein, nein. Schweigen Sie. Sie brauchen gar nichts zu sagen. Ich habe schon verstanden. Sie hatten Recht. Sprecher 3 (Pfeffer): Was haben Sie verstanden? Womit hatte ich Recht? Sprecher 2 (Heymbacken): Nein, nein, ich habe nichts verstanden. Gar nichts. Und jetzt genug davon. Sie können ganz beruhigt sein. Ich habe nichts verstanden; ich war gar nicht hier und habe Sie nicht gesehen. Völlige Klarheit kann es nur auf einem bestimmten Niveau geben. Und jeder sollte wissen, worauf er Anspruch erheben kann. Ich wollte Klarheit auf meinem Niveau; das ist mein Recht, und ich habe es genutzt. Aber dort, wo die Rechte aufhören, beginnen die Pflichten, und ich kann Ihnen versichern, dass ich meine Pflichten genauso gut kenne wie meine Rechte. ATMOENDE 4. O-Ton: (BNS) russisch Sprecher 1: (voice over ) Unser Vater, Natan Salmanowitsch Strugatzki, war Bolschewik, und das schon vor der Revolution, er war 1916 in die Sozialdemokratische Arbeiterpartei Russlands ? Bolschiwiki eingetreten. Er kämpfte im Bürgerkrieg, war bei den Einheiten, die auf dem Land Lebensmittel requirierten, wurde dann Chefredakteur der Zeitung ?Arbeitendes Adscharistan? in Batumi; in Leningrad war er Mitarbeiter der Hauptverwaltung für Literatur (der sowjetischen Zensurbehörde). Regie: russisch unter Passage Sprecherin liegen lassen. Sprecherin: Als eine in Maßen glückliche ?Intelligenzler Familie? beschreibt Boris Strugatzki das Elternhaus, in dem er und sein älterer Bruder Arkadi heranwuchsen. Ein wenig ärmlich, aber durch den Beruf des Vaters reich an Bildung und Büchern. Künstler, Ingenieure und Architekten gingen ein und aus ? und viele Lehrer, schließlich war die Mutter der Beiden Lehrerin, sie unterrichtete russisch an einer Oberschule und trug den Titel ?verdiente Lehrerin der Russischen Sozialistischen Föderativen Sowjetrepublik?. Eine sowjetische Kindheit, mit allem was dazu gehörte. 5. O-Ton: (BNS) russisch Sprecher 1: (voice over ) Am Tage meiner Geburt (genauer, in der Nacht) wurde mein Vater als Leiter der Politabteilung in das Getreide-Staatsgut ?Gigant? in Westsibirien geschickt und von dort ein paar Jahre später nach Stalingrad versetzt, wo er die Kulturabteilung des Stadtkomitees leitete. Dort wurde er 1937 aus der Partei ausgeschlossen und sollte anscheinend verhaftet werden, rettete sich aber dadurch, dass er gleich am Tage nach dem Ausschluss nach Moskau abreiste, um seine Wiederaufnahme zu erwirken, und man ihn einfach vergaß (wie es in jener schrecklichen Zeit oft vorkam). Die Walze des Stalinismus ging natürlich auch über uns hinweg: Unser Vater, aus der Partei ausgeschlossen, wurde zum ?politischen Invaliden?, sein Bruder, Alexander Salmanowitsch, ein ?roter Direktor?, wurde 1937 verhaftet und zu ?zehn Jahren ohne Recht auf Korrespondenz? verurteilt (ein Euphemismus, der einfach Erschießung bedeutete, was wir damals aber nicht wussten). Doch bei uns zu Hause wurde von solchen Dingen nie gesprochen, und mein Bruder und ich wuchsen auf, ohne die geringste Ahnung, was im Lande vor sich ging ? wir wuchsen auf als überzeugte Leninpioniere und Komsomolzen, als Stalinisten reinsten Wassers. STIMME BNS AN ATMO ATMO/ COLLAGE (20-30 Sek.) Sowjt. Hymne / Echolot/ SCHNIPSEL Raumfahrt/ / Stalin // Chruschtschow // kurze Hörspielsequenzen /7 Sprecherin: Phantastik und Science Fiktion hatten in der Sowjetunion, wie im ganzen sozialistischen Lager einen anderen Status als im Westen. Sie war nicht - zumindest nicht nur - Sammelstelle für technikverliebte Jungs und Eskapisten aller Art, sondern auch ein Refugium, in dem man freier denken und schreiben konnte als anderswo. Science Fiktion thematisierte Dinge, die in anderen Genres sofort der Zensur zum Opfer gefallen wären. Erik Simon, langjähriger Übersetzer und Lektor der Strugatzkis und einer der Herausgeber der auf sechs Bände angelegten Strugatzki-Werkausgabe. 6. O-Ton: (Simon 1) Sie konnte es, weil sie es nicht so wörtlich sagte, und der Zensor - und es gab wohlmeinende Zensoren - der konnte einfach so tun, als ob da nichts wäre. Und natürlich konnte sie bestimme Sachen sagen, nicht die man nicht hätte sagen dürfen, sondern die man überhaupt nicht so deutlich hätte sagen können. Denn Science Fiction verfremdet ja nicht nur, sondern Science Fiction verdeutlicht auch, indem sie eine künstliche Situation schafft, in der das Problem, welches der Autor behandeln will, einfach viel deutlicher, viel mehr von störenden Umwelteinflüssen befreit dargestellt werden kann als wenn er es in der Realität abhandelt, wo immer diese tausend und Millionen anderen realen Störeinwirkungen da sind. 00:03:28-4 Sprecherin: Erik Simon weiß um die Bedeutung der Strugatzkis für die Leserschaft Ost, schließlich betreute er ab Mitte der 70er Jahre die ?Science Fiktion des sozialistischen Auslands? für den DDR-Verlag Neues Berlin. 7. O-Ton: (Simon 2) Die haben tatsächlich Diskussionen zu politischen sozialen moralischen Fragen ausgelöst in der SU, die natürlich im wesentlich unterhalb der offiziellen Marke langlaufen mussten, aber das ist relativ gut dokumentiert. 00:21:18-4 Der Science Fiction Club in einer Großstadt wie Wolgograd, 2-3 Millionen Einwohner, war der Science Fiction Club die einzige vorhandene kulturelle Institution, die nicht vom Staat befohlen war. Mir hat ein Bekannter mal gesagt, man hat in Wolgograd zwei Möglichkeiten sich zu betätigen: Also man geht in den Science Fiction Club oder man säuft. Sprecherin: Und so waren die Strugatzkis immer mehr als die Verfasser von Raumschiff-Geschichten. Atmo: Interferenz // evtl. Stimme Chodorkowsky // schwere Tür schlägt zu // Stille // Computertastatur [kurz unter Sprecher legen, dann weg] Sprecher 2: Chodorkowski an Strugatzki Verehrter Boris Natanowitsch! Ich bin seit Langem ein Verehrer Ihres Talents und ein kleiner Neider. Ich beneide Sie nicht wegen Ihres Vermögens, bemerkenswerte künstlerische Werke zu schaffen, weil das ohnehin weit über die Grenzen meiner Fähigkeiten ginge. Mich beeindruckt noch viel mehr Ihre Fähigkeit, die Zukunft vorauszusagen, Probleme zu verarbeiten, die noch hinter dem Horizont sind. Sprecherin: schrieb Michael Chodorkowski, der seit 2003 inhaftierte frühere Chef des zerschlagenen Ölkonzerns Yukos, 2009 in einem offenen Brief an Boris Strugatzki. Sprecher 2: Chodorkowski an Strugatzki Da ich aus bekannten Gründen aus meiner gewohnten Arbeit gerissen bin, habe ich angefangen zu versuchen, "hinter den Horizont zu blicken" - 20, 30, 40 Jahre voraus. Ich wäre Ihnen sehr dankbar, wenn Sie meine Meinung bewerten würden und Ihre kritische oder alternative Ansicht ausdrücken würden. 8. O-Ton: (BNS) russisch Sprecher 1: (voice over ) Im Grunde ein zufälliges Zusammentreffen. Michail Borissowitsch hat sich als Liebhaber des Werkes der Strugatzkis erwiesen und mir über gemeinsame Bekannte Dankesworte zukommen lassen. Natürlich hielt ich es für eine Ehre, ihm zu antworten. So begann der Briefwechsel. Sprecherin: ? der später in der oppositionellen Moskauer Zeitung ?Nowaja Gaseta? abgedruckt wurde. Darin diskutiert der Putin-Kritiker und prominenteste politische Gefangene Russlands mit dem Science Fiction-Autor über Fragen der Energieversorgung, der Demokratie in Russland, über Krieg und Frieden. Die Strugatzkis sind nach wie vor eine intellektuelle und moralische Instanz, wobei seit dem Tod von Arkadi 1991 Boris Natanowitsch diese Rolle allein ausfüllen muss. Atmo (kurz): Interferenz // Computertastatur [kurz unter Sprecher legen, dann weg] Sprecher 1 (BS): Verehrter Michail Borissowitsch! Die Energiekrise. Die ökologische Krise. Ich stimme mit Ihnen völlig und absolut überein: Es gibt keine größeren Probleme für die Menschheit. ? Nein, nichts Katastrophales (im üblichen Sinn dieses Begriffes) wird geschehen. Die Menschheit wird nicht sterben. Aber die gegenwärtige Zivilisation (und nur sie) wird zusammenbrechen mit allen Schikanen. Das, was heute mit unserem Land geschieht, beunruhigt mich jedoch mehr als die heraufziehende Energiekrise. Es ist zum Kotzen: Erneut kehrt zurück in diese widerliche Welt, was, so schien es, für immer hinter uns lag. Tatsächlich ist sozialer Optimismus sträflich. Lieber Michail Borissowitsch! Wie angenehm ist es, mit Ihnen zu reden. Ich hoffe, dass unser Gespräch nicht das letzte war. Ich wünsche Ihnen Gesundheit, Geduld und Glück! 9. O-Ton: (Simon 3) Sie sind nie verhaftet worden, sie haben es auch sehr intensiv vermieden über diese Kante zu rutschen. xxx Ihr Publikum waren die sowjetischen Leser. Für die haben sie geschrieben, und sie hätten selbstverständlich mit ihrem jüdischen Vater, selbstverständlich versuchen können nach Israel auszuwandern. Das haben sie nie auch nur entfernt in Erwägung gezogen. Vielmehr haben ihre Feinde es permanent als Gerücht gestreut, dass die Strugatzkis eigentlich schon so gut wie weg sind. Sprecherin: Und Feinde hatten sie sich Laufe der 60er Jahre viele gemacht: Atmo: Sitzungssaal, kleine Gruppe Menschen kommt rein, Gehüstel, Stühlerücken Sprecher 3: Aus dem Vorzimmer hörte man Schritte, Stimmen und Gehüstel, die Tür wurde gebieterisch aufgestoßen, und den Raum betrat die Troika in voller Besetzung - zu viert- nebst dem wissenschaftlichen Berater Professor Wybegallo. Lawr Fedotowitsch Wunjukow begab sich zum Platz des Vorsitzenden, stellte eine wuchtige Aktentasche vor sich hin, ließ die Schlösser schnappen und baute ein paar für einen erfolgreichen Vorsitz unentbehrliche Dinge auf dem grünen Tuch auf: eine krokodilslederne Schreibmappe für Leitungskader, einen Satz Kugelschreiber in einem Saffianetui, eine Schachtel Herzegowina, ein Feuerzeug in Form eines Triumphbogens und ein Prismentheaterglas. Der Oberst der motorisierten Kavallerie ließ sich, mit seinen Medaillen klimpernd, an Lawr Fedotowitschs rechter Seite nieder, zog die grauen Brauen hoch und schlief, einen Ausdruck grenzenloser Verwunderung und Missbilligung im Gesicht, friedlich ein. Atmo unter Sprecherin liegen lassem Sprecherin: Sitzung der ?Troika zum Rationalisieren und Utilisieren von Unerklärlichen Erscheinungen?. Ein mächtiges Gremium, dessen Aufgabe es ist, magische und phantastische Erscheinungen und Personen einer Erklärung zu unterziehen und ihnen dann das Existenzrecht in der realen Welt an - oder abzuerkennen ? und das kategorisch, denn mit dem setzen des von allen gefürchteten GROßEN STEMPELS wird der Gegenstand der Verhandlung im Ablehnungsfalls ausgelöscht. Das Motto der Veranstaltung: ?Das Volk braucht keine ungesunden Sensationen, das Volk braucht gesunde Sensationen.? Schon die Zusammensetzung der Troika spricht Bände. Ein debiler, wie ein Weihnachtsbaum mit Orden behängter General, der immer die gleichen Kriegsgeschichten erzählt und ständig einschläft, ein aggressiver Politaktivist, ein vollkommen rückgratloser Karrierist und an ihrer Spitze ein hirn- und herzloser Bürokrat, der sich ständig auf das Wohl des Volkes beruft. 1968 erschien diese Geschichte in einer etwas gekürzten und entschärften Fassung in einer sibirischen Provinzzeitschrift. Allerdings nur kurz, denn die Zeitschrift wurde eingezogen, ihr Chefredakteur entlassen. ?Das Märchen von der Troika?, so der Titel der Novelle, verschwand bis zur Perestroika im Giftsschrank. Atmo: Saal Sprecher 3: »Gibt es Vorschläge?« fragte Lawr Fedotowitsch und senkte die schweren Lider. »Ich würde vorschlagen, ihn reinzuholen«, sagte Chlebowwodow. »Gibt es andere Vorschläge?« fragte Lawr Fedotowitsch. Er scharrte auf der Suche nach einem Knopf auf dem Tisch herum, fand aber keinen und sagte zum Kommandanten: »Der Vorgang soll reinkommen, Kollege Subo.« Der Kommandant stürzte Hals über Kopf zur Tür, steckte den Kopf hinaus und wich rückwärts zu seinem Platz zurück. Unter der Bürde eines riesigen schwarzen Kastens folgte ihm mit Schlagseite ein hagerer alter Mann, der ein Tolstoi-Hemd und eine militärische Stiefelhose mit orangenfarbener Paspel trug. Den alten Mann kannte ich - er war wiederholt in unserem und auch in vielen anderen Instituten aufgekreuzt, und einmal hatte ich ihn sogar im Vorzimmer des stellvertretenden Ministers für Schwermaschinenbau gesehen, wo er geduldig, adrett und voller Enthusiasmus als erster in der Reihe der Wartenden saß. Dies war ein völlig harmloser alter Mann, der sich jedoch ein Leben außerhalb des wissenschaftlich-technischen Schaffens leider nicht vorstellen konnte. »Dies ist, wenn Sie herzusehen belieben, eine sogenannte heuristische Maschine«, sagte der alte Mann. »Ein präzise arbeitendes mechanisch-elektronisches Gerät zur Beantwortung beliebiger Fragen wissenschaftlicher und ökonomischer Art. Wie arbeitet nun diese Maschine? Da ich nicht über die nötigen Mittel verfüge und bei allen möglichen Bürokraten abgeblitzt bin, ist sie noch nicht restlos automatisiert. Die Fragen werden mündlich gestellt, ich tippe sie auf der Maschine und gebe sie damit nach dadrinne weiter, bring sie ihr sozusagen zu Bewusstsein. Und auch ihre Antworten werden - wiederum wegen der unvollständigen Automatisierung - von mir getippt. Ich bin hier gewissermaßen so was wie ein Mittler.« Er trat hinter seine Maschine und betätigte mit großartiger Geste einen Kippschalter. Im Innern der Maschine leuchtete ein Lämpchen auf. »Bittschön«, wiederholte der alte Mann. »Was ist das da für ein Lämpchen?« fragte Farfurkis mißtrauisch. Der alte Mann hämmerte auf die Tasten, riss das Blatt mit einem Ruck aus der Maschine und trabte damit zu Farfurkis. Farfurkis las vor: »Frage: Was ist das dadrinne... äh ... für ein LMP? ... Was soll das sein: EL-EM-PE« »LMP heißt Lämpchen«, sagte der alte Mann kichernd und rieb sich die Hände. » Wir verschlüsseln's halt ein bißchen. « Er riß Farfurkis das Blatt aus der Hand und zuckelte zu seiner Maschine zurück. »Das war also die Frage«, sagte er, während er den Bogen einspannte. »Und jetzt gucken wir mal, was sie antwortet.« Die Mitglieder der Troika sahen ihm neugierig zu. Der alte Mann hieb unterdessen munter auf die Tasten und riss dann das Blatt heraus. »Hier ist nun, wenn's beliebt, die Antwort.« Farfurkis las vor: » Dadrinne... hm ... ist ein Licht. « »Hm. Was für ein Licht?« »Eine Sekunde!« rief der Erfinder, riss ihm das Blatt aus der Hand und trabte wieder zu seiner Maschine zurück. Und nun ging's los. Die Maschine gab eine unwissenschaftliche Erklärung des Begriffs Leuchtstofflampe, dann antwortete sie Farfurkis, dass sie das Wort dadrinne entsprechend den Regeln der Grammatik schreibe, und dann... FARFURKIS Welcher Grammatik? MASCHINE Na, der unsrigen Grmtk. LAWR FEDOTOWITSCH Chrrrm... Gibt es Vorschläge? MASCHINE Mich als wissenschaftlichen Fakt anzuerkennen. Der alte Mann tippte und flitzte wie aufgezogen hin und her. Der Kommandant kippelte vor Begeisterung mit seinem Stuhl und zeigte mir den Daumen. CHLEBOWWODOW gereizt So kann ich nicht arbeiten. Was pendelt er immer hin und her wie ein Blech im Wind? MASCHINE Weil er sich dazuhält. CHLEBOWWODOW Verschonen Sie mich mit Ihrem Geschreibsel! Ich hab Sie nichts gefragt, können Sie das begreifen oder nicht? MASCHINE Jawohl, das kann ich. Der Troika ging allmählich auf, dass sie sich aller weiteren Fragen, auch der rhetorischen, enthalten musste, wenn sie die heutige Sitzung noch einmal zu Ende bringen wollte. Stille trat ein. Atmoende Sprecherin: Als ?Das Märchen von der Troika? erschien, beziehungsweise nicht erschien, hatten die ?richtigen Schwierigkeiten? bereits begonnen, wie die Autoren die Zeit ab Mitte der 60er Jahre nannten. Dabei waren sie in ihrer ersten Schaffensphase bei den Zensurbehörden durchaus wohl gelittene Autoren und sahen sich auch selbst im Einklang mit ihrer Epoche. Das Frühwerk, die Romane, die zwischen 1958 und 64 erschienen, stand ganz im Zeichen der Euphorie des Aufbruchs in den Weltraum. 1957 war der erste Sputnik gestartet, 1961 umkreiste Juri Gagarin die Erde. Der erste Mensch im Weltall war ein sowjetischer Mensch. Auch politisch schien mit dem Wechsel von Stalin zu Chruschtschow 1953, eine neue, freiere Epoche eingeläutet worden zu sein. 10. O-Ton: (BNS) russisch Sprecher 1: (voice over ) Das war eine Zeit unverhoffter Freuden und eines ganz ungezügelten Optimismus. Damals (nach dem 20. Parteitag) schien es uns, nun werde alles anders ablaufen: ehrlich, offen, frei. Doch welchen Grund gab es dazu eigentlich? Gar keinen. Die Zensur blieb, nahezu alle Funktionäre blieben auf ihren Posten, und alsbald gab es auch neue politische Gefangene. Aber die ?Rehabilitation? der Kybernetik! Aber die großen (wie uns schien, riesigen) Stücke Wahrheit über den GULAG! Aber der Sputnik und Gagarin, der Vorstoß in den Weltraum! Das weckte Hoffnung. Sprecherin: Gerade für Autoren, die Science Fiktion, beziehungsweise wissenschaftliche Phantastik, wie das Genre in der Sowjetunion hieß, schreiben wollten, wurde der Horizont weiter. In der Stalin-Zeit waren sie auf die so genannte ?Phantastik der nahen Zielstellung? festlegt worden, das heißt: ihnen kam die Rolle zu, im Rahmen banaler Abenteuergeschichten die Triumphe sozialistsicher Ingenieurskunst der nächsten ein bis zwei Dekaden auszumalen, in kräftigem Oktoberrot natürlich. 11. O-Ton: (BNS) russisch Sprecher 1: (voice over ) Die sogenannte ?Phantastik der nahen Zielstellung?, die ausschließlich Fragen der Technik von morgen behandelte und als ?Popwissenschaft für Halbwüchsige? galt, war ein für alle Mal gescheitert. In der Science Fiktion tauchte der Weltraum auf, vernunftbegabte Roboter, Außerirdische, sogar Telepathie und Telekinese. Aber nach wie vor kategorisch verboten waren: alle Erwähnungen des Atomkriegs, überhaupt sämtliche Dystopien, jede Andeutung eines Krieges im Weltraum. Ganz zu schweigen von politischer Satire und jeglichen Versuchen, die Zukunft unter gesellschaftlichem Aspekt darzustellen. Sprecherin: Das Entwerfen zukünftiger Gesellschaften wurde ab 1957 dann doch möglich. In diesem Jahr erschien, zunächst als gekürzter Vorabdruck in einer Zeitschrift und 1958 dann als kompletter Roman ?Das Mädchen aus dem All? von Ivan Jefromow. Dieses Buch, dem in jeder Geschichte der sowjetischen Phantastik ein Sonderplatz eingeräumt wird, war der Türöffner für das Genre und prägte eine ganze Generation von Autoren. Nicht die Technik, nicht die Abenteuer der etwas hölzern gezeichneten Protagonisten, sondern die Verfassung einer zukünftigen Gesellschaft stehen im Zentrum des Buches. 12. O-Ton: (Simon 4) In den 50er und 60ern durfte man das eigentlich nicht, weil ja alles, was man über die Zukunft wissen musste, schon bei den Klassikern Marx, Engels und Lenin stand. Es war halt nicht üblich, sich darüber hinaus führende Gedanken zu machen, weil die konnten ja falsch sein. Und der Jefromov hat das halt getan xxx und damit war ein Präzedenzfall geschaffen. Sprecher: Und so machten sich Boris Strugatzki, der zuvor ein Studium in Astronomie abgeschlossen hatte, und sein älterer Bruder Arkadi, ein Anglist und Japanologe, daran, zukünftige Welten zu entwerfen und ließen ihre Protagonisten den Mars, den Saturn und die Venus erobern. Dabei entwickelten sie nach und nach die für sie typische Arbeitsmethode: 13. O-Ton: (BNS) russisch Sprecher 1: (voice over ) Wir trafen uns bei unserer Mutter in Leningrad oder bei Arkadi in Moskau, einer setzte sich an die Schreibmaschine, der andere ihm gegenüber, und die ?Prozedur? begann. Jemand schlägt einen bestimmten Satz vor. Der Satz wird bedacht, erwogen, ?geschmeckt?, mündlich redigiert und entweder als untauglich verworfen oder ? schon in redigierter Form ? zu Papier gebracht. Jemand schlägt den nächsten Satz vor ... Und so ? Satz für Satz, Absatz für Absatz, Seite für Seite, drei, vier Seiten pro Tag, ohne Pause und ohne freie Tage, bildet sich im Laufe von drei, vier Wochen die erste Version der Rohfassung. Dann bekommt die Rohfassung in der Regel Gelegenheit zum ?Ablagern?, und ein paar Monate später machen wir uns an die Reinschrift. Nach derselben Methode, Satz für Satz, doch nun geht es in der Regel schneller, und die Reinschrift wächst mit einer Geschwindigkeit von sieben bis zehn Seiten pro Tag. Praktisch alle unsere Romane und langen Erzählungen sind nach dieser Verfahrensweise geschrieben worden. Atmo: schwach besetzter Saal Sprecher 3: »Es gibt den Vorschlag«, sagte Farfurkis, »den Kollegen Vertreter zu bitten, die Arbeit der Troika zu unterstützen.« Nun richteten sich alle Blicke auf mich. Wäre nicht der alte Mann gewesen, hätte ich mich natürlich nie im Leben auf so was eingelassen. Ich stand auf und trat an die Maschine. Der alte Mann strahlte mich an. Ich sah mir das Aggregat von allen Seiten an und sagte: »Na schön. Es handelt sich um eine relativ gut erhaltene Remington-Schreibmaschine, Modell i go6, mit einem sauberen vorrevolutionären Schriftbild.« Ich fing einen flehenden Blick des alten Mannes auf und ließ seufzend den Kippschalter klicken. »Mit einem Wort: Vorliegende Schreibkonstruktion enthält leider nichts Neues, sondern nur etwas sehr Altes...« »Dadrinne!« flüsterte der alte Mann. »Dadrinne hat's einen Analysator und einen Denker...« »Einen Analysator...«, sagte ich. »Einen Analysator gibt's hier nicht. Dafür einen serienmäßig gefertigten, ebenfalls alten Gleichrichter und eine gewöhnliche Leuchtstofflampe. « »Und Ihre Schlussfolgerung?« erkundigte sich Farfurkis lebhaft. »Meine Schlussfolgerung...«, sagte ich. »Beschriebene Remington-Schreibmaschine, gekoppelt mit einem Gleichrichter, einer Leuchtstofflampe, einem Kippschalter und einem Kabel, enthält absolut nichts Unerklärtes.« »Ich hab trotzdem noch eine Frage«, sagte Chlebowwodow. »Wie bringt sie eigentlich die Antworten zuwege?« ATMOENDE Sprecherin: Ein Kennzeichen der Strugatzkis war von Anfang an, dass sie ihre Helden realistischer zeichneten als andere Science Fiktion Autoren. 14. O-Ton: (Simon) Das sind nicht diese himmelblau angestrichenen Kommunisten der Zukunft, das sind eigentlich gegenwärtige Leute die nur in diese damals noch relativ nahe Zukunft versetzt wurden. 15. O-Ton: (BNS) russisch Sprecher 1: (voice over ) Diese Probleme haben wir Dutzende Male erörtert. Der Realismus zog uns mit Macht an, doch wir hatten panische Angst, in den sogenannten ?Bulpingtonismus-Blupismus? zu verfallen ? so nannten wir die hölzern-langweilige Art, das hölzern langweilige ?wirkliche Leben? zu schildern. Der Begriff kam auf, nachdem wir ?The Bulpington of Blup? von H. G. Wells gelesen hatten ? wie ich glaube, den langweiligsten Roman unseres Lieblingsautors und Lehrmeisters. Wir hatten uns geschworen, niemals derart mit dem Leser Schindluder zu treiben. Und ich glaube, wir haben diesen Schwur gehalten. Sprecherin: Obwohl, oder gerade weil, der Spielraum der Strugatzkis im Laufe der 60er Jahre geringer wurde und die Zensur die Fesseln wieder anzog, wurde die Welt, die sie erkundeten, immer größer. Sie verließen unser Sonnensystem und unsere Zeit. Von tapferer und fröhlicher Wissenschaft war allerdings keine Spur mehr. Die Abenteuer wurden dunkler, die Taten der Protagonisten widersprüchlicher und ihre Motive unklarer. 16. O-Ton: (BNS) russisch Sprecher 1: (voice over ) Was die ?optimistische Phase? in unserem Schaffen angeht, so wurde sie nach der ?historischen Begegnung Nikita Sergejewitsch Chruschtschows mit Vertretern der sowjetischen Intelligenz? Ende 1963 einer schweren Belastungsprobe unterzogen ? damals wurde uns mit äußerster Klarheit bewusst, dass wir von Lumpen und Ignoranten regiert wurden, die absolut nicht zu unseren Vorstellungen vom Kommunismus passten. Eine gewisse (schwache) Hoffnung, dass es möglich sein würde, die ?lichte Zukunft? auszubauen, blieb uns noch einige Zeit ? bis zu den tschechischen Ereignissen 1968, als alle Illusionen endgültig zerstoben und klar wurde, dass vor uns nichts lag als ein mehr oder weniger rigider, aber hoffnungsloser Totalitarismus. ATMO: Saal [unter Passage legen] Sprecher 3: Schließlich hob Lawr Fedotowitsch den Kopf und stand auf. » Wir sind die Hüter der Wissenschaft. Wir schützen die Saat des Wissens vor dem Unkraut der Ignoranz und der Afterweisheit. Und solange wir das tun, sind wir keine Menschen, sondern handeln ohne Nachsicht, ohne Erbarmen, ohne Ansehen der Person. Für uns gibt es nur ein Kriterium: Die Wahrheit. Die Wahrheit ist jenseits von Gut und Böse, die Wahrheit existiert unabhängig vom Menschen und von der Menschheit, aber nur solange es Gut und Böse gibt, solange es den Menschen und die Menschheit gibt. Wozu ist die Wahrheit gut, wenn es keine Menschen mehr gibt? Wenn jede Frage beantwortet wird, braucht man nicht mehr nach Wissen zu streben, und die Menschheit hört auf zu existieren - wozu ist dann die Wahrheit gut? Ja, der Mann, der hier vor uns steht, ist ein Genie. Aber zugleich ist er ein Mörder, denn er tötet den Geist. Und darum können wir nicht länger leidenschaftslose Filter sein. Nicht debattieren müssen wir, sondern Gericht halten! Für ein solches Gericht aber gibt es keine Gesetze. Und ich als der Rangälteste hier verletze jetzt das Recht und fordere als erster seinen Tod!« »Den Menschen töten, die Maschine pulverisieren«, sagte der Oberst heiser. »Den Menschen töten«, murmelte Chlebowwodow langsam und gleichsam bedauernd, »die Maschine pulverisieren und diesen ganzen Vorfall dem Vergessen anheimgeben.« ATMOENDE Sprecherin: Ganz so schlimm endete es für den Erfinder Edelweiß Sacharowitsch Maschkin dann doch nicht und auch der Außerirdische, dessen Fall die Troika als nächstes verhandelte, kam mit dem Leben davon, allerdings nur knapp. Eigentlich wollte er nur Reparaturhilfe für sein havariertes Raumschiff beantragen, am Ende wurde er mit Kriegsdrohungen überschüttet - ?das Volk braucht keine unerklärlichen Erscheinungen, die sich nicht ausweisen können? - und wäre beinahe ?rationalisiert? worden ? so wie alles Besondere oder Wunderbare, was vor die Kommission gerät. Atmo (kurz): Interferenz // Computertastatur [kurz unter Sprecher legen, dann weg] Sprecher 1 (BS): (Strugatzki an Chodorkowski) Lieber Michail Borissowitsch! Es hat Generationen und totale psychologische Brüche gebraucht, bis gewisse Offensichtlichkeiten (erneut?) Bestandteile des Bewusstseins der hochstehenden und isolierten Schicht der Machthaber wurden ... Es gibt, so zeigte sich, das Recht zu verdienen und das Recht auszugeben. Das Recht, die Arbeitsstelle zu wechseln und das Recht zu wählen, wofür das Erarbeitete ausgegeben wird. Es gibt, man stelle sich vor, das Recht, das Land zu verlassen und zurückzukehren, wenn es beliebt ... Alle diese "Offensichtlichkeiten" realisierten sich im Bewusstsein der Machthaber dieser Welt erst kürzlich - vor ein, zwei Jahrhunderten. Aber bei uns in Russland (nach der verödenden Tollwut des Stalinismus) reifen sie erst jetzt heran, sie sind eine Errungenschaft im besten Falle der Hälfte der herrschenden Eliten, während gleichzeitig die andere Hälfte sich noch nicht entschieden hat. Wäre es nicht einfacher, nicht richtiger, alles so zu organisieren, wie es bei Stalin oder wenigstens bei Andropow war? Ich wünsche Ihnen Gesundheit und Widerstandskraft! Sprecherin: Die produktivste Phase der Brüder Strugatzki fiel in eine Zeit des Stillstands in der Sowjetunion. 1964 verdrängte Leonid Iljitsch Breschnew den in Ungnade gefallenen Chruschtschow und wurde Erster Sekretär des Zentralkomitees der KPDSU: Damit begann die fast 20 jährige Phase der Stagnation. Und obwohl das Land unter bürokratischem Mehltau lag und viele der kleinen Freiheiten der Ära Chruschtschow wieder zurückgenommen wurden, verfassten die Strugatzkis zwischen Mitte der 60er und 70er Jahre die Romane, die ihren Weltruhm begründeten: Etwa ?Ein Gott zu sein ist schwer?, die im 22. Jahrhundert angesiedelte Geschichte eines Mitarbeiters des ?Instituts für experimentelle Geschichte?, der als Einheimischer getarnt, eine zurückgebliebene gewalttätige Zivilisation untersucht. Die Bewohner des armen Landes werden von einem aufstrebenden Beamten mit einem Terror überzogen, der an die faschistische und die stalinistische Verfolgung erinnert. Eigentlich der ?Basistheorie des Feudalismus? verpflichtet ? unschwer als der Historische Materialismus zu erkennen - gerät der Held in den Konflikt zwischen seinem Wunsch, den Menschen auf dem Planeten zu helfen und der strengen Nichteinmischungsregel seines Institutes. Das Buch hatte erhebliche Probleme mit der Zensur. Die zielte jedoch nicht auf die unübersehbare Kritik an den sowjetischen Verhältnissen - das war praktisch nicht thematisierbar - sondern bemängelte einen historisch fehlerhaften Vergleich von Mittelalter und Faschismus. 17. O-Ton: (Simon 5) In diesem Roman werden ja diese mittelalterlichen Verhältnisse mit dem Faschismus verglichen und der Lektor, der das damals hätte betreuen können, der sagte: Nee das stimmt nicht. Der Faschismus ist das höchste Stadium des Imperialismus und das hat mit dem Mittelalter nichts zu tun und hier wird der historische Materialismus falsch dargestellt. PUNKT. Aber nach ner Weile ging das dann natürlich doch. 18. O-Ton: (BNS) russisch Sprecher 1: (voice over ) Die Autoren hatten niemals mit der Zensur direkt zu tun. Offiziell gab es keine Zensur. Mit der Zensur kommunizierte der Lektor, und der teilte die getroffenen Entscheidungen dann dem Autor mit. ACHTUNG BEI SCHNITT ANSCHLUSS!!!! Jeder halbwegs anständige und kluge Mensch konnte als Lektor nichts als regelmäßig aufkommenden Frust empfinden. Und ich verneige mich tief vor jenen, die in dieser widernatürlichen und menschenfeindlichen Lage Haltung bewahrten, Partei ergriffen nicht einmal für den Autor, sondern für die ehrliche Literatur, die mit allen verfügbaren Mitteln ein Buch gegen Verstümmelung zu verteidigen suchten und dabei mindestens ihr eigenes Wohlergehen riskierten. Leider bildeten sie wie alles Gute und Ehrliche immer eine verschwindende (zum Verschwinden gebrachte) Minderheit, und bei der Mehrheit fanden sich Idioten, Feiglinge oder gleichgültige Beamtenseelen. Sprecherin: Und so wurde etwa der Roman ?Die bewohnte Insel? von 1969, in dem die Strugatzkis ihren Helden Maxim Kammerer einführen, der auch in späteren Erzählungen eine Rolle spielt, von der Hauptverwaltung für Literatur an 896 Stellen zensiert. Sogar der Name des Hauptakteurs musste geändert werden 19. O-Ton: (BNS) russisch Sprecher 1: (voice over ) Ursprünglich hatte unser Maxim den Familiennamen Rostislawski. Aber unter den Anmerkungen und Forderungen der Hauptverwaltung für Literatur war auch diese: Es sollte möglichst wenig ?Bezugnahmen? auf die Erde geben, und alle Russen waren unverzüglich durch Vertreter anderer Nationalitäten zu ersetzen, beispielsweise durch Deutsche. Ich weiß noch, dass ich damals das erstbeste Buch aus dem Regal nahm (ich glaube, es war ?Die Kartei der Lebenden? von Frýd) und nach einer Minute einen Namen entdeckte, der mir aus irgendeinem Grund gefiel: Kammerer. Arkadi hatte nichts dagegen, und unser bodenständiger Russe Rostislawski wurde zum Deutschen Kammerer ? und das blieb er. Sprecherin: Nicht nur der Name des Helden musste germanisiert werden. Das russische Wort für ?Panzer? musste durch das entsprechende deutsche Wort ersetzt werden, aus den Soldaten einer Strafeinheit wurden deutsche ?Blitzträger?. So wollte man die angesprochenen Probleme wohl von der Sowjetunion fern halten. Dass das Buch überhaupt erschien, werteten die Strugatzkis schließlich als Erfolg und tatsächlich wurde Maxim Kammerer, eine Art Komsomolze des 22. Jahrhunderts, eine der populärsten Figuren der Beiden. Kammerers Abenteuer spielen wie mehrere Erzählungen der Brüder in der Welt des Mittags, wobei Mittag als Verweis auf den fortgeschrittenen Entwicklungstand der Welt des 22. Jahrhunderts zu verstehen war. Doch auch dort begegnet die Menschheit den alten Konflikten wieder. Diese Science-Fiction-Konstruktion erlaubte es den Brüdern alle gegenwärtigen Probleme zu thematisieren, ohne direkt über die Sowjetunion sprechen zu müssen. Die Science in der Fiktion der Strugatzkis war ohnehin nie die Naturwissenschaft, obwohl Boris Strugatzki als studierter Astronom dafür alle Vorraussetzungen mitbrachte, sondern immer eher die Geistes- und Sozialwissenschaft. Und so disputieren die Helden dann auch ? zum Beispiel in ?Picknick am Wegesrand?, der Romanvorlage für den Film ?Stalker?: Atmo: [unterlegen] dunkle sphärische Klänge// Eisenbahnschwellen // Wortfetzen // Sprecher 2: Nunnan trank sein Bier aus und stellte das leere Glas heftig zurück auf den Tisch. ?Der Mensch ist also mit einem außerirdischen Wesen zusammengetroffen ? wie merken beide nun, dass sie vernunftbegabt sind?? ?Ich hab? nicht die geringste Ahnung?, erwiderte Pillman belustigt. ?Alles, was ich in diesem Zusammenhang gelesen habe, führt zu dem besagten Fehlschluss. Wenn die Fremden zu einer Kontaktaufnahme imstande sind, so bedeutet das, sie sind vernunftbegabt. Und umgekehrt: Sind sie vernunftbegabt, können sie auch Kontakt aufnehmen. Oder überhaupt: Hat das außerirdische Wesen die Ehre, über die Psychologie des Menschen zu verfügen, dann ist es vernunftbegabt. So ist das.? ?Trotzdem?, sagte Nunnan, ?ich bin noch nicht fertig.? Er fühlte sich irgendwie betrogen. ?Konkret zum Besuch, was halten Sie von dem Besuch?? ?Also meinetwegen?, erwiderte Pillman. ?Ein Picknick. Stellen Sie sich einen Wald vor, einen kleinen Pfad, eine Wiese. Vom Pfad biegt ein Auto zur Wiese ab, ein paar Burschen und junge Mädchen steigen aus, beladen mit Flaschen, Proviant, Kofferradios, Fotoapparaten. Sie zünden ein Lagerfeuer an, bauen Zelte auf, spielen Musik. Am nächsten Morgen dann fahren sie wieder ab. Die Tiere, Vögel und Insekten, die voller Furcht das nächtliche Treiben beobachteten, wagen sich aus ihren Verstecken hervor. Was aber entdecken sie? Auf der Wiese stehen Lachen von Kühlwasser und Benzin, kaputte Zündkerzen, und ausgewechselte Ölfilter liegen herum. Die Autoreifen haben Schlammreste hinterlassen, die von irgendeinem Sumpfgebiet stammen. Nun ja, und dann natürlich die Überreste des Lagerfeuers, Fetzen von Zeitungspapier, Geldmünzen, verwelkte Blumen, die auf anderen Wiesen gepflückt wurden...? ?Ich hab? verstanden?, sagte Nunnan, ?ein Picknick am Wegesrand gewissermaßen.? ?So ist es. Ein Picknick am Rande eines kosmischen Weges. Sie aber fragen mich, ob diese Fremden zurückkommen oder nicht.? ?Haben Sie mal eine Zigarette für mich?? fragte Nunnan. ?Der Teufel soll Ihre Pseudowissenschaft holen! Ich hab? mir das alles anders vorgestellt.? ?Das ist Ihr gutes Recht?, erwiderte Pillman. ?Sie sind also der Meinung, die Fremden hätten uns gar nicht bemerkt?? ?Wie kommen Sie darauf?? ?Oder hätten uns zumindest nicht beachtet?? ?Wissen Sie?, sagte Pillman, ?ich an Ihrer Stelle würde das nicht so tragisch nehmen.? ATMO Interferenz // Sprecherin: Auch wenn ?Seine Majestät das Wunder? stets zugegen blieb - je länger die Strugatzkis schrieben, desto häufiger wandten sie sich von den Abenteuern im Weltraum und in fernen Zukünften ab. 20. O-Ton: (BNS) russisch Sprecher 1: (voice over ) Wir hatten keine Lust mehr, unsere eigenen irrealen Welten zu erfinden, während ringsum das sogenannte wirkliche Leben mit allen Schikanen strudelte, brodelte, mit den Krallen an uns riss und höchste Aufmerksamkeit erforderte. Sprecherin: Und so widmeten sie sich verstärkt der eigenen Lebenswelt. 21. O-Ton: (BNS) russisch Sprecher 1: (voice over ) Wir haben immer das grundlegende Arbeitsprinzip jedes anständigen Schriftstellers geheiligt: Schreiben muss man von dem, was man gut kennt, oder aber von dem, was niemand kennt. Das Leben der Literaten und Wissenschaftler kannten wir gut, also wurden naturgemäß Literaten und Wissenschaftler unsere Helden. Sprecherin: Und tatsächlich schufen sie eine ganze Reihe von Helden und Dissidenten, von Kretins und Kleinbürgern die, wie die Strugatzkis selbst, ihre Kämpfe an Schreibtischen und in Literaturklubs austrugen, vor Kommissionen und an Stammtischen. Atmo: gut besuchte russische Kneipe Sprecher 3: ?Ein kluger Mann hat einmal gesagt, dass man die Zukunft nicht vorher sagen, wohl aber erfinden kann? ?Und ein anderer kluger Mann? warf Viktor ein ?hat einmal gesagt, dass es überhaupt keine Zukunft gibt, sondern nur eine Gegenwart.? ?Ich mag die klassische Philosophie nicht?, sagte Pavor. ?Diese Leute haben nichts gekonnt und nichts gewollt. Sie hatten einfach Spaß am Denken, so wie Golem Spaß am Trinken hat. Die Zukunft ist nichts anderes als eine entschärfte Gegenwart.? ?Ich habe immer ein ungutes Gefühl?, sagte Golem, ?wenn ein Zivilist wie ein Militär denkt?. ?Militärs denken überhaupt nicht?, widersprach Pavor. ?Militärs haben nur Reflexe und ein paar Emotionen.? ?. ATMOENDE Sprecherin: Im Roman ?Das lahme Schicksal? wird das Leben von zwei Schriftstellern erzählt: Felix Sorokin ist ein leidlich erfolgreicher, aber zutiefst frustrierter Autor von Kriegsromanen, der früher mal ambitionierte Texte geschrieben hat. Und Viktor Banew - ein leidenschaftlicher Schreiber und Trunkenbold, der erlebt, wie sich seine Tochter und die anderen Kinder einer Kleinstadt in einer Art Evolutionssprung zu neuen, besseren Menschen entwickeln - was bei den zurückbleibenden Vertretern der alten Ordnung Pogromstimmung hervorruft. 22. O-Ton: (BNS) russisch Sprecher 1: (voice over ) Banew ist ein Dissident und Rowdy. Als Vorbild für ihn dienten unsere wunderbaren Liedermacher ? Okudschawa, Wyssozki, Kim. Sorokin hingegen ist eine Bulgakow-Figur, der bemerkenswert glücklose Schriftsteller Maksudow (aus dem ?Theaterroman?), ein Schöpfer, der von der Macht niedergehalten wird. Zum Vorbild für Sorokin wurde Arkadi, wir haben sogar gewisse biographische Einzelheiten beibehalten, ganz zu schweigen vom Gesamtbild des Charakters und des Schicksals. Ich glaube, das Bild ist sowohl genau als auch gehaltvoll geworden, dazu ziemlich tatsachengerecht. Sprecherin: Im Oktober 1991 starb Arkadi Natanowitsch Strugatzki nach langer und schwerer Krankheit in seiner Geburtsstadt, die wenige Wochen zuvor wieder ihren alten Namen St. Peterburg angenommen hatte. Das war das Ende ?Der Strugatzkis.? Boris Natanowitsch schrieb nach dem Tod seines Bruders noch zwei viel beachtete Romane, in denen er sich mit den gesellschaftlichen Erscheinungen des modernen Russlands auseinandersetzt. Er ist heute ein hoch geachteter Intellektueller, der von der Presse immer wieder zu aktuellen politischen Problemen befragt wird und sich mit wenig Hoffung für ein liberales und weltoffenes Russland einsetzt. Atmo: Interferenz // Computertastatur [kurz unter Sprecher legen, dann weg] Sprecher 1 (BS): (Strugatzki an Chodorkowski) Lieber Michail Borissowitsch! ... Welche Partei wir auch immer schufen, es war immer eine KPdSU, welche ökonomische Konstruktion auch immer aufgebaut wurde, bei uns wurde es immer ein militärisch-industrieller Komplex, und überhaupt wurde alles "wie immer": brutal, kasernenhaft, aggressiv - hoffnungslos verstaatlicht. Manchmal scheint es mir, als würden nur zwei Generationen ausreichen - ohne Inflation, autoritäres Regime, deklarative Aggressivität -, damit alles an seinen Platz rückt und der natürliche liberal-demokratische Weg Russlands entschlossen abgesteckt würde, aber woher soll man diese zwei Generationen nehmen? Jeder Autoritarismus, jede Verstaatlichung des sozialen Lebens bedeutet unbedingt Bremsung, Stagnation, Beendigung des Fortschritts, die gewohnte Militarisierung und sogar Krieg (zumindest einen "kalten"). Das ist der unausweichliche Rückstand hinter Ländern mit einer freien Wirtschaft, die trostlose Verwandlung in ein Obervolta mit Atomraketen Atmo: Interferenz 37